There's so much world

«Auf dem Fahrrad lernst du die Konturen eines Landes am besten kennen, denn du musst dich die Hügel hinaufschwingen und sie hinunterrollen. So erinnerst du dich an sie, wie sie wirklich sind, 

während dich in einem Automobil höchstens mal ein hoher Berg beeindruckt, und da bekommst du auch keinen so nachhaltigen Eindruck von dem Land, durch das du gefahren bist, wie du ihn bekommst, wenn du mit dem Fahrrad fährst»

(Ernest Hemingway)

Von Wien nach Zürich

Grüass di!


Nach unserer Mammutreise sind wir am 19. Juni in Wien gelandet. Die Einreise verlief für uns Schweizer erstaunlich unkompliziert. Der Typ von der Bundeswehr wollte lediglich wissen, ob wir auf Durchreise sind, was wir natürlich brav und grundsätzlich auch wahrheitsgemäss bejaht haben.


Da waren wir also in Europa nach langer, langer Zeit. Uns war es wichtig, nicht direkt nach Zürich zurück zu fliegen, sondern langsam heimzukommen (was natürlich mit dem Rad heisst :)). Da es von Athen ja nicht klappen wollte, waren wir umso glücklicher, als Luca‘s Vater uns angeboten hat, die Fahrräder inklusive Gepäck und Anhänger für Lou per Post von Feldkirch nach Wien zu schicken. Noch am Tag unserer Ankunft konnten wir vier von fünf Paketen entgegennehmen (das Fünfte ist bis dato immernoch verschollen im Verteilzentrum 2005, aber das ist eine andere Geschichte). Martin, unser Warmshower-Host in Wien, war super hilfsbereit und hat uns bei unserer Ankunft unterstützt. 


Lou ist ebenfalls gut im Westen angekommen und hat Gefallen an den heimischen Früchten, den Parks und Spielplätzen sowie den etwas kühleren Temperaturen gefunden. Das Highlight für sie aber war, als sie in ihrer neuen Edelkutsche (Danke @Veloplus) Platz nehmen und mit uns durch Wien cruisen durfte. Ihr hättet ihr Strahlen sehen und ihr Quietschen hören sollen! Wir waren überglücklich wieder im vertrauten Sattel sitzen zu können und unabhängig mobil zu sein. 


Nach einer Woche vergeblichen Wartens auf das letzte Paket mit all unserer Fahrrad- und Campingausrüstung, haben wir uns dazu entschlossen, trotzdem aufzubrechen — zum Glück, sonst wären wir noch immer in Wien! Das erste grosse Ziel war die Stadt Graz, südwestlich von Wien. Da wir ohne Zelt waren, haben wir uns vorzu mit Warmshower-Hosts in Verbindung gesetzt, was zum Glück hervorragend funktioniert hat. Wir haben super tolle Begegnungen gemacht mit den unterschiedlichsten Gastgebern. Unglaublich, wie grosszügig die Menschen doch sind und wie wertvoll ein solches Netzwerk sein kann! Wir möchten, sobald wir den Platz dazu haben, unbedingt etwas zurückgeben und andere Radreisende bei uns in Zürich aufnehmen. Gleich die ersten Gastgeber, Marco und Sarah, haben uns grosszügerweise ihre gesamte Ausrüstung leihweise angeboten. Das Zelt, Schlafsack und ein paar warme Kleidungsstücke für Lou haben wir dankend angenommen. Damit waren wir wieder richtig unabhängig. 


Unsere grösste Ungewissheit war, wie gut, wie lange und wie weit wir mit Lou vorwärts kommen werden. Es hätte durchaus sein können, dass es ihr im Anhänger überhaupt nicht behagt und/oder sie alle dreissig Minuten eine zweistündige Pause braucht. Das Gegenteil traf ein, Lou schläft extrem viel im Anhänger und geniesst, wie die Landschaft an ihr vorbeizieht. Wir richteten unsere Pausen jeweils nach ihr, wobei wir uns manchmal danach sehnten, dass sie endlich erwacht und die für uns längst überfällige Pause verlangt. Auch das Zelten hat ihr von Beginn weg gefallen und sie hat sofort zwei Drittel des Zelts in Beschlag genommen. So kamen wir gut voran und sind nach ein paar Tagen in der sehr besuchenswerten Studentenstadt Graz angelangt. Dort haben wir einen Pausentag eingelegt, die schmucke Jugendstilwohnung und die sympathische WG genossen. 


Von Graz gings weiter südwärts in die Südsteiermark. Wegen dieser Gegend sind wir übrigens überhaupt erst nach Österreich gekommen: In Armenien haben wir ein Overlander-Paar kennengelernt, das von dieser Region geschwärmt hat. Und sie haben nicht zu viel versprochen. Die hügelige Landschaft voller Rebberge, schönen Buschenschanken und das feine, deftige Essen haben uns zugesagt. Von der Steiermark fuhren wir für einen kurzen Abstecher nach Slowenien. Denn da fliesst die Drau durch, welcher wir flussaufwärts in den nächsten Tagen bis nach Italien folgen wollten. Der Drauradweg ist sehr vielseitig, gut ausgeschildert und zu 99 Prozent autofrei. Man kommt den Alpen immer näher, passiert wunderschöne Seen und fährt durch lauschige Wälder. Auf halbem Weg haben wir zum vierten Mal auf unserer Reise Jolien und Mirko getroffen. Die Beiden mussten coronabedingt ihre Reise in Myanmar umplanen und fahren nun von der Schweiz in Richtung Osten. Es war wie immer toll mit diesen Zwei und wir schätzen es sehr, gleichgesinnte Radreisefreunde zu haben. 


Ab Lienz ging es ordentlich bergauf. Zum Glück waren unsere Muskeln mittlerweile wieder auf „Afrika-Niveau“ und wir konnten den Horden von E-Bike-Italienern, welche nur bergab fahren, mit einem Lächeln entgegenfahren. In Toblach, wo die Drau entspringt, hat uns die Bergwelt wieder einmal umgehauen. Im Herz der Dolomiten mussten wir einen Wandertag einlegen (und wenn die Campings nicht so verdammt teuer wären und nicht so viele tolle Menschen uns sehnlichst erwarten würden, hätten wir wohl glatt eine ganze Woche daraus gemacht). Unglaublich diese türkisfarbenen Bergseen, diese Weite und diese Felsformationen — wir kommen wieder!


Talabwärts düsten wir nach Bozen, wo wir vor knapp zwei Jahren bereits vorbeifuhren. Die Etsch hoch wollten wir dieses Mal die Alpen anstatt über den Ofen- und Albulapass über den Reschen- und den Flüelapass bezwingen. Wie immer wenn’s richtig schön wird, wird’s auch richtig streng. Aber das Gefühl, wenn man auf 2400 M.ü.M. ein alkoholfreies Gipfel-Bier trinkt und am Abend todmüde ins Zelt fällt, ist jede Schweissperle und jedes Fluchen wert. Aber Flüela, du bist wirklich ein „Saucheib“!


Schneller als gedacht waren wir wieder in der Schweiz. Es war ein spezielles Gefühl, nach so langer Zeit wieder Schweizer Boden unter den Füssen/Rädern zu haben. Aber es war nicht so überwältigend, wie wir es erwartet haben, da wir uns in unserem eigenen Tempo der Heimat nähern konnten. 


Ab Landquart radelten wir auf vertrauten Wegen (wobei wir uns vor allem an die Essstopps erinnern konnten :)) an den Churfirsten vorbei in Richtung Zürich. Und zack waren wir zu Hause, in der Mitte von unseren Liebsten, die uns herzlich empfingen und ganz gespannt auf die kleine grosse Lou waren.


Es fühlt sich sehr gut, aber auch noch leicht unwirklich an, wieder zu Hause zu sein. Was wir mit Bestimmtheit sagen können, ist, dass dieses Abenteuer eine der allerbesten Entscheidungen unseres Lebens war und dies sicher nicht unsere letzte grosse Reise war.


Es ist schön, wieder bei euch zu sein und es war super toll, euch digital als Mitreisende Leser dabei gehabt zu haben. Danke!


Pfüeti und bis bald!


Hannah, Luca & Lou

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