Iran Teil 1

Salaam!


Mit nur wenigen Flugstunden haben wir eine Zeitreise ins Jahr 1398 gemacht (die Zeitrechnung ist nur eine von vielen Eigenheiten des Irans). Den Iran kennt man im Westen vor allem im Zusammenhang mit Themen wie Atomwaffenprogramm, westlichen Sanktionen, islamischer Staat und Kopftuchpflicht für Frauen. Dank früheren Bekanntschaften und Reiseberichten von Freundinnen und Freunden haben wir aber auch von der immensen Gastfreundschaft der IranerInnen und der reichen, persischen Kultur und Geschichte erfahren. Kurzum wir waren mächtig gespannt auf dieses grosse Land im mittleren Osten. 


Angekommen am Flughafen in Teheran haben wir mit Freude festgestellt, dass unsere selbstgebastelten Fahrradboxen aus Afrika bereits auf uns warten. Schon beim Zusammenbauen der Fahrräder haben wir einen Vorgeschmack auf die Neugierde und Gastfreundschaft der Iraner bekommen. Ständig kamen Leute vorbei und fragten, ob sie uns helfen können, von wo wir kommen und wie Luca heisst (die Konversation im öffentlichen Raum findet grössenteils von Mann zu Mann statt). Beim Geldwechseln (aufgrund der Sanktionen muss man das gesamte Reisebudget in Euros/Dollars mitnehmen, da mit internationalen Karten wie Master oder Visa weder Geld abgehoben, noch bezahlt werden kann) haben wir erfreut festgestellt, dass wir für einen Dollar 130’000 Rial erhalten. Der offizielle Kurs ist rund 1:40’000. Der Rial hat innerhalb eines Jahres aufgrund der neuen Sanktionen durch die Trump-Regierung heftig an Wert verloren – sehr tragisch für die Iraner, Glück für uns als Reisende. 


Kurz nach Sonnenaufgang haben wir die ersten Kilometer auf dem neuen Kontinent zurückgelegt und dabei das angenehm kühle und trockene Klima geschätzt und die schneebedeckten Berge bewundert. Es hat sich angefühlt, als wären wir auf einen neuen Planeten katapultiert worden. Kein Wunder, wenn man nach fünf Monaten mit durchschnittlichem Tempo von ca. 15 km/h, plötzlich innert wenigen Stunden mehrere tausend Kilometer zurückzulegt. Auch die für uns nicht lesbaren Schriftzeichen und Ziffern haben zu diesem Gefühl beigetragen. Ein weiterer, harter Kontrast war der heavy Verkehr. Der Iran ist stark motorisiert (Autofahren ist erschwinglich dank Eigenproduktionsstätten und viel Erdöl, ein Liter Benzin kostet derzeit gerade mal 8 Rappen) und dessen BewohnerInnen sind nicht bekannt für ihr rücksichtsvolles und regelnbefolgendes Fahrverhalten: auf der Autobahn rückwärts zu fahren, um die Ausfahrt doch noch zu erwischen, rechts zu überholen und nicht ein einziges Mal zu blinken – alles völlig normal hier. Der vorauseilende Ruf des „dynamischen“ Verkehrs war mitunter ein Grund, Teheran links liegen zu lassen und gleich südwärts zu fahren. 


Unser erster Warmshower-Host Hosein und seine Familie haben uns mit einem typisch iranischen Frühstück (Fladenbrot, Frischkäse, Spiegelei und Schwarztee mit gaanz viel Zucker in allen Farben und Formen) in seinem Strassenimbiss herzlich empfangen. Hier haben wir zum ersten Mal erlebt, was uns in den nächsten Tagen noch so oft wiederfahren wird: eine unglaubliche, bedingungslose Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Oft interagieren wir ohne oder nur mit wenigen Worten, da das Englischniveau meist sehr bescheiden und unser Farsi noch sehr beschränkt ist. Mit ihrer offenen und fröhlichen Art gelingt es den Iranern im Nu, eine lockere und persönliche Atmosphäre zu schaffen. Auf diese Weise erhalten wir einen tiefen Einblick in den iranischen Alltag, der sich zu einem grossen Teil im privaten Raum abspielt. 


Nach diesem wunderbaren Auftakt haben wir uns durch die karge Wüstenlandschaft nach Ghom aufgemacht. Auf dem Weg werden wir immer wieder zu Tee oder Wassermelonen eingeladen oder aus dem fahrenden Auto ausgefragt und/oder mit „Welcome to Iran“ begrüsst. Im Vergleich zu Afrika ist der Iran relativ dünn besiedelt und so zelten wir oft wenige hundert Meter von der Hauptstrasse entfernt. Allgemein ist der Iran ein sehr campingfreundliches Land, so dass sogar das Zelten in vielen öffentlichen Pärken erlaubt ist. In Ghom, der Mullah-Hochburg des Irans, erleben wir ein weiteres sehr charakteristisches Beispiel iranischer Gastfreundschaft: Am Stadtrand machen wir einen Stopp und schreiben Javad über das Portal Couchsurfing an und fragen ihn, ob er sehr spontan Zeit hat uns für eine Nacht zu beherbergen. Wenige Minuten später ruft er uns an, um mitzuteilen, dass er heute Abend mit seinem Kollegen Saed in den Irak reist, wir aber in dessen Wohnung bleiben können solange wir wollen und er einen weiteren Kollegen, MJ, organisiert, der uns liebend gerne seine Heimatstadt zeigen möchte. Eine Stunde später sitzen wir mit den Dreien bei Chai und feinsten Datteln im hochpolierten Wohnzimmer. So sind die Iraner!


Nur indem wir vehement darauf beharren, werden wir am nächsten Morgen nach einem tollen Abend entlassen. Bis spätnachts waren wir mit MJ unterwegs, haben den Blumenladen von seinem Kollegen gehütet, wurden seinen Freunden in einer modernen Mall „gezeigt“ und haben dabei im Foodcourt zahlreiche Selfies gemacht (Selfies und Instagram sind ohnehin ganz gross hier), haben den heiligen Schrein besucht (Hannah zwangsweise mit Tschador) und sind mit Kebab, Safraneis und Malzbier (ohne Alkohol, dieser ist hier leider strengstens verboten) im Bauch durch die Stadt gerast.


Auf dem Weg von Ghom nach Kashan gab es nicht viel, ausser schöne Felsformationen, weitreichende Ebenen und ab und zu eine Verpflegungsmöglichkeit, z.B. eine Metzgerei, wo Hannah ihr Spiegelei gleich selbst zubereiten musste. Kashan ist eine alte Kaufmannsstadt mit einem wunderschönen, alten Bazar und riesigen, prunk- aber geschmackvollen Herrschaftshäusern von wohlhabenden Teppichhändlern. Man kann sich die Blütezeit des Handels auf der Seidenstrasse förmlich vorstellen. Gewohnt haben wir in Kashan bei einer netten Familie, die uns mit leckerem Essen verwöhnt hatte (Auberginenmousse, frische Kräuter und zum Frühstück hausgemachte Karottenkonfitüre). Gegessen wird traditionellerweise auf dem Teppich am Boden (geschlafen übrigens auch).


Die 220 Kilometer von Kashan nach Isfahan wollten wir in drei gemütlichen Tagen zurücklegen. Am zweiten Tag hat uns ein so noch nie erlebter Gegenwindorkansturmsauhund das Leben so schwer gemacht, dass wir nach dreissig unglaublich anstrengenden Kilometern das Angebot zum Chai eines besonders hartnäckigen und liebenswürdigen Mannes nicht mehr ablehnten. Bei ihm zu Hause wurden wir verköstigt und konnten uns sogar kurz hinlegen. Das Angebot, die Nacht zu bleiben mussten wir jedoch ablehnen, da wir noch eine grosse Strecke vor uns hatten. Aber kaum waren wir wieder auf der Strasse war unser Wille bald gebrochen und wir haben den ersten Laster angehalten. Hosein (ja, auch Hosein), ein studierter Geograf und heute langjähriger Transporteur von Milchprodukten hat uns ohne zu zögern auf- und natürlich auch gleich für die Nacht zu sich nach Hause eingeladen. Zum grossen Anlass kam die ganze Familie und die halbe Nachbarschaft vorbei und dank Google Translate konnten wir uns unsere gegenseitigen Fragen stellen und beantworten (wie z.B. „was ist eure Religion?“, „was haltet ihr vom Iran?“, „was arbeitet ihr?“ etc.). Trotz unserer sichtbaren Müdigkeit harrten wir aus, bis auch die letzte Tochter zum Selfie vorbeigekommen ist und fielen danach todmüde auf unseren Teppich. Der Rythmus ist allgemein ein ganz Anderer als in Afrika: Während in Afrika mit dem Sonnenuntergang auch der Tag zu Ende ging, fängt das Leben auf der Strasse und in den eigenen vier Wänden im Iran am Abend erst richtig an. Gegessen wird meist erst gegen 10, 11 Uhr, auch unter der Woche.


Die ersten Tage im Iran waren von unfassbarer Gastfreundschaft geprägt. In den nächsten zweieinhalb Wochen werden wir noch mehr Herzlichkeit erfahren und mit unseren beiden Müttern (und ohne Räder) eine unvergessliche Rundreise zu den Perlen des Irans machen. Dazu bald mehr.


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