Georgien

Gamarjoba!

 

Uff, schon lang ist‘s her, als wir die Grenze von Armenien nach Georgien querten, die einfachste Grenzüberquerung unserer Reise (Schweiz - Italien ausgenommen): Pass vorweisen, stempeln und ohne von den Rädern steigen zu müssen oder gar das Gepäck scannen zu lassen ging‘s weiter.

 

Auch sonst war der Grenzübergang eher sanft: weiterhin orthodoxe Kirchen, für unser Auge gleichaussehende und -gekleidete Menschen, die Sprache klang ähnlich und die georgischen Schriftzeichen gleichen den Armenischen, auch wenn das beide Seiten mit gutem Recht vehement bestreiten würden. Allgemein ist man in diesen jungen, kleinen Ex-Sowjet-Staaten sehr stark auf die eigene Identität, die Einzigartigkeit in Geschichte und Kultur sowie die Abgrenzung gegenüber den Nachbarn bedacht – dazu später noch ein, zwei Anekdoten. Der grösste, uns auffallende Unterschied war der wieder eher ruppigere Fahrstil der Georgier (Autofahren ist, wie so oft, grösstenteils Männersache). Wo wir diese Zeilen schreiben fällt uns gerade auf, dass dies ein globales Phänomen zu sein scheint: Noch nie während der ganzen Reise war die Person, die den Minibus, das Taxi, den Car oder das Uber lenkte eine Sie... Das nur am Rande.

 

Von der Grenze bis in die georgische Hauptstadt Tbilisi waren es zwei kurze Radeletappen. Wir haben einen tollen Wildzeltplatz auf einem trockenen Kornfeld gefunden und haben einen schönen, wehmütigen, vorerst letzten Abend als Radtourende verbracht. DENN, wer das noch nicht durch uns persönlich oder das scheinbar gut funktionierende Buschtelefon erfahren hat, ist Hannah zu diesem Zeitpunkt bereits im siebten Monat schwanger :)!!! Dank einer sehr unkomplizierten Schwangerschaft konnten wir seit dem Zeitpunkt als wir von unserem grossen Glück erfahren haben (in Blantyre, Malawi) noch viele tausende Kilometer weiterradeln. Aber nun war es soweit, dass wir es ein wenig ruhiger angehen wollten / mussten (das ist uns so halb gelungen...:)). Die Vorfreude auf das neue Kapitel unserer Reise schaffte es mit uns erstaunender Leichtigkeit, den Wehmut zu übertönen. Denn sonst wären wir noch sehr lange weitergeradelt.

 

Die letzten Kilometer in die Millionenstadt wurden wir von Paolo begleitet, der uns netterweise entgegenfuhr und uns durch den Grossstadtverkehr sicher zu sich nach Hause lotste. Paolo und Luca haben sich vor neun (!) Jahren auf einer Bootstour am Inle Lake in Myanmar kennengelernt. Durch Zufall haben wir wenige Tage zuvor via Facebook erfahren, dass der gebürtige Italiener mittlerweile in Tbilisi lebt und dort als Englischlehrer arbeitet. Paolo hat uns kurzerhand angeboten, bei ihm in seinem kleinen aber super zentralen Appartment in der Stadt zu wohnen. Ein Angebot, das wir dankend angenommen haben (wie viele grosszügige und spontane Menschen es doch auf der Welt gibt!). Tbilisi und Paolo’s Wohnung waren während unsere Georgienzeit die nächsten sieben Wochen immer wieder ein kleines „Daheim“, zu welchem wir regelmässig zurückkehrten und wo wir uns erholten, mit Paolo kochten und diskutierten, unsere Räder eintüteten und unser Gepäck zwischenlagerten.

 

Die ersten Tage haben wir Tbilisi erkundet und dabei bereits viel über Georgien, seine junge Geschichte und das aktuelle Selbtsverständnis erfahren. Georgien, das Geburtsland Stalins, ist seit 1991 unabhängig und ging in den 90er Jahren aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Eigenständigkeit durch „dunkle Zeiten“ (im wahrsten Sinne des Wortes, da Elektrizität knapp rationiert war, aber auch aufgrund hoher Kriminalitätsraten etc.) gegangen. Die ursprünglich georgischen Gebiete von Abchasien und Südossetien gingen während den Sezessionskonflikten, beziehungweise mit dem Kaukasuskrieg 2008 in russische Verwaltung über. Dies war und ist DER grosse Dorn im Auge der Georgier. „20% of my country is occupied by Russia“-Aufkleber sieht man auf praktisch jedem Auto, ja sogar auf Weinflaschen und Souvenirartikeln aufgedruckt. An unserem ersten Wochenende kam es zu grossen Krawallen und riesigen Protesten vor dem Parlament, da während einem Gipfel der orthodoxischen Gemeinschaft in Tbilisi auch ein russischer Parlamentsvertreter geladen war, der an das Rednerpult trat und sprach. Für die Georgier ein riesiger Affront! Die Gegenreaktion Russlands war, dass sie sämtliche Direktflüge nach Georgien einstellen liessen (russische Touristen machen den Hauptteil in Georgien aus). Und so geht das ewige Hin-und-Her weiter... Georgien orientiert sich daher stark nach Europa und versteht sich mit grosser Selbstverständlichkeit als Teil Europas, mit Flaggen vor dem Parlament und allem drum und dran.

 

Tbilisi ist architektonisch eine spannende Stadt mit alten, leider oft zerfallenden Häusern mit hübschen Holzbalkonen, gemischt mit Sowjet-Bauten, viel moderner Architektur und zahlreichen Parks. Fast die Hälfte der 3.7 Millionen Georgierinnen und Georgier leben in der Hauptstadt. 

 

Da wir wussten, dass wir immer wieder hierher zurückkehren werden (die Verkehrsführung zwingt einem dazu), gingen wir bald in die östlich von Tbilisi gelegene Weinregion Kakheti. In Napareuli haben wir für fünf Tage auf einem Kleinstweingut und Boutique-Hotel als Volunteers gearbeitet. Hannah hat sich vor allem im Umgang mit Kleinkindern geübt (es galt, zwei Zwillingspaare im Alter von sieben Monaten und dreieinhalb Jahren zu betreuen) und Luca hat auf dem Weinberg gejätet und Holz gehackt. 

 

Es waren fünf tolle und chaotische Tage auf diesem kleinen Gut, die uns einen guten Einblick in die georgische Kultur gegeben haben. Wir haben gelernt, wie man das köstliche Nationalgericht „Khinkali“ (mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen) zubereitet und die nach wie vor lebhafte „Tamada“-Tradition kennengelernt: Der Tamada, meist der Gastgeber und Patriarch (Georgien ist noch immer eine sehr konservativ geprägte Gesellschaft), ist verantwortlich für das (Trink-)wohl und die Unterhaltung der Gäste. In sehr regelmässigen Abständen erhebt sich dieser und widmet einen oft sehr langen, emotionalen und rührenden Trinkspruch oder eine Geschichte an Gott / die Mütter / Frieden / die Verstorbenen / das gute Essen / Wein / Freundschaft / die Zukunft etc., worauf sich alle erheben und mit einem „Gamarjus“ ihre Gläser mit Wein oder Chacha (=omnipräsenter, georgischer Grappa) „auf Ex“ trinken. Hannah hatte öfters ihre Schwierigkeiten, den wohlwollenden Männern und Frauen zu erklären, dass schwangere Frauen in unserem Kulturkreis auf Alkohol verzichten, ja, auch auf den „so gesunden“-, „natürlichen“-, „gut für das Herz“- und „gut für das Baby“-Wein oder Chacha. Auch morgens beim Frühstück. Über Sinn und Zweck des exzessiven Alkoholkonsums mag man sich streiten, aber die Sprüche und Widmungen haben uns gut gefallen und es ist ein schöner Brauch.

 

Die nächsten Tage haben wir mit unserer georgischen Hauptbeschäftigung verbracht: Wandern im Kaukasus. Wir haben so ziemlich alle Wandergebiete besucht und sind begeistert von der schönen Natur Georgiens. Das erste Highlight war der Lagodekhi-Nationalpark im Nordosten, direkt an der Grenze zu Russland. In drei Tagen sind wir zu einem wunderschönen See auf 3000 M.ü.M. gewandert und haben das saftige Grün und die super Aussichten genossen.

 

Als krasser Kontrast dazu haben wir ein paar Tage im selten besuchten Vashlowani Nationalpark im Südosten an der Grenze zu Aserbaidschan verbracht. Hier war es nicht mehr grün, sondern wüstenähnlich karg und heiss. Die Landschaft war aber ebenso beeindruckend und vielseitig. Einzig das Wort „Schlammvulkane“ hat eine Vorfreude und Vorstellung geweckt, dem die reale Erscheinung nicht gerecht wurde.

 

Danach ging’s mit Autostopp (funktioniert super in Georgien!) zurück nach Tbilisi. Diesmal fuhr der freundliche Herr, der uns mitnahm, nicht in eine Sackgasse, um Luca nach mehrmaligem Ablehnen doch noch dazu zu überzeugen, mit ihm eine 2.5 Liter Pet-Bierflasche zu trinken (wie das auf der Hinfahrt mit seinem Vorgänger geschehen ist), sondern fuhr direkt, dafür in umso waghalsigeren Überholmanövern nach Tbilisi.

 

In Tbilisi nahmen wir Luca’s Weingruppe, bestehend aus Zach, Paolo und Ale in Empfang. Wir freuten uns sehr über den Besuch aus der Schweiz und haben fünf tolle Tage in Tbilisi und Kakheti verbracht. Der georgische Wein wird oft noch traditionell hergestellt. Sie sagen „wie vor 8000 Jahren“, und meinen das positiv. In der Tat war es spannend, die grossen „Qvevris“ (vergrabenen Tonamphoren, in denen der gepresste Traubensaft mit Schalen und allem drum und dran unkontrolliert vergoren wird) sowie die diversen anderen „Instrumente“ (ausgehöhlte Kürbisse, mit denen man den Wein zur Degustation herausschöpft; „antiseptische“ Leder/Rinden-Lappen an Stecken befestigt zur Reinigung; riesige Trinkhörner für spezielle Trinksprüche) zu sehen. Aber für den Geschmack und die Qualität der Weine hätten wir uns oft ein wenig mehr Mut zur Innovation (damit ist nicht gemeint, den Wein in Wasserspendern auszuschenken, so gesehen in Batumi) gewünscht. Die Weine waren oft „interessant“, selten richtig „lecker“ und mit „langem Abgang“ (und wenn, dann war der erdig...). Trotzdem waren es unterhaltsame Besuche auf den diversen Weingütern. Wir haben Dinge gesehen, die wir sowohl vorher wie auch nacher nie mehr so erleben werden (riesige Schimmeltanks aus der Sowjet-Zeit, kilometerlange Weinkeller-Tunnel im Berg etc.).

 

Luca’s Jungs wurden abgelöst vom künftigen Gotti Laura, mit der wir drei Wochen den restlichen Teil des Landes erkundet haben. Zuerst ging es nach Kazbegi, wo wir mit Zelt und Proviant wunderschöne Wanderungen gemacht haben (Hannah hat nochmals einen 3’400 M.ü.M. Pass gemacht, so viel zu „es ruhiger angehen lassen“). Danach fuhren wir über Achalzikhe und Vardzia (ein unglaublich tolles, altes Höhlenkloster) nach Batumi an’s Schwarze Meer. Leider hat das Wetter für unseren Badeurlaub nicht so mitgespielt, aber die für Georgien sehr atypische Stadt hatte uns dennoch fasziniert. In einer langen Mashrutka-Fahrt ging’s nach Mestia in Svaneti. Svaneti ist die wohl bekannteste Wanderregion im Kaukasus, nicht zu Unrecht. Schneebedeckte Berge, grosse Gletscher und eine unglaublich reiche Flora und Fauna wissen zu gefallen. In drei Tagen sind wir von Mestia nach Ushguli gewandert und sind dabei durch breite, eisig kalte Gletscherflüsse gewatet (mit unseren Hosen) und an unendlich vielen Schmetterlingen vorbeigezogen. Die Svan-Dörfer sind für ihre Befestigungstürme bekannt: Jede Familie hatte ihren eigenen Turm. Als wir den Spielfilm „Dede“ über den in der Svan-Kultur weit verbreiteten Frauenraub zwischen Dörfern und Familien gesehen haben, wussten wir auch um deren Zweck.

 

Zurück reisten wir über die alte Hauptstadt Kutaissi (sehr schmuck, toller Markt und ebenfalls einen Besuch wert!) und von da aus mit dem alten, unklimatisierten Zug nach Tbilisi. In Tbilisi gaben wir uns nochmals die volle Ladung georgischer Kalorien: Kachapuri (sehr leckeres Brot mit reichlich geschmolzenem Käse in allen Formen: zwischendrin, obendrauf, überall, mit Ei und Butter), Lobiani (Brot mit Bohnenfüllung), Kinkhali, Auberginen mit Wallnusspesto (sehr lecker) und Tomaten-Gurken-Salat (unglaublich schmackhafte Gurken und Tomaten gibt es in Georgien).

 

Am gleichen Tag wie Laura stiegen wir in den Flieger, sie zurück in die Schweiz, wir ohne Räder weit in den Osten: Malaysia. Hier werden wir uns ein gutes „Nest“ (Spital, Wohnung etc.) suchen, um während den nächsten Monate im neuen Leben anzukommen.

 

Auf bald, ihr Lieben!

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Kommentare: 3
  • #1

    Johanna (Montag, 12 August 2019 14:07)

    Hallo ihr Lieben!
    sehnsüchtig erwartet, habe ich eure weiteren Abenteuer gelesen und all die wunderschönen Fotos bewundert.
    Toll!
    Und schön, dass es euch dreien so gut geht und die Schwangerschaft so unkompliziert ist! Ich freue mich riesig mit euch zusammen!
    Ja, Georgien scheint ein sehr spannendes und vielfältiges Land zu sein. Ihr konntet es ja jetzt ausgiebig kennenlernen. In Rumänien haben wir auch so lustige "Vulkane" gesehen, dort hiessen sie Moorvulkane.
    Nun wünsche ich euch eine ganz gute Ankunft in Malaysia und dass ihr euer Nästli findet und aufbauen könnt.
    Herzlichst Johanna

  • #2

    Sigmund Blank (Montag, 09 September 2019 15:24)

    Liebe Leute. Wow,schon schwanger seit Malawi. In Dar es salam, wo wir uns trafen, war es ja noch ein Geheimnis.Das hat mich als Frauenarzt jetzt aber trotzdem überrascht.Nach unseren med. Maßstäben wäre unterwegs ja Einiges nötig gewesen.Ich wünsche Euch eine schöne Rest-Schwangerschaft, eine schöne Geburt und ein problemloses Wochenbett.Möge die Familie schnell und gut zusammen wachsen.
    Herzliche Grüße,
    Dr.med. Sigmund Blank aus Hamburg

  • #3

    Amanda Weilenmann (Montag, 02 März 2020 16:50)

    Congratulations! I know this is very late... but I absolutely love the pictures and reading your blog. It is so fascinating. Thank you for writing! :)